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Joshua

 

             

      

 

 

 

Der Mensch das einzige Arbeitstier

 

Überall in der Natur herrscht Müßiggang, und nur der Mensch arbeitet zu seinem Lebensunterhalt. Er arbeitet, weil er muß, weil mit dem Fortschreiten der Zivilisation das Leben komplizierter wird mit all seinen nicht von der Natur sondern von der menschlichen Gesellschaft gebotenen Pflichten Verantwortungen, Sorgen, Verdrängungen und Süchten.

Indes ich hier an meinem Schreibtisch sitze, flattert eine Taube um einen Kirchturm herum, ohne sich im Geringsten darum zu sorgen, was sie zu Mittag essen wird. Ich weiß wohl , daß mein Mittagessen eine weit kompliziertere Angelegenheit ist als das Taubenmahl; ich weiß: an den paar Dingen, die ich zu mir nehme, hängt die Arbeit von Tausenden und ein ganzes höchst kompliziertes System von Landwirtschaft , Handel, Transportwesen, Kundendienst und Kochkunst. Deshalb ist es für den Menschen schwerer, seine Nahrung zu . finden, als für das Tier. Trotzdem, wenn ich mir vorstelle ein wildes Tier aus dem Dschungel würde in der Großstadt losgelasen und könnte sich einigermaßen ein Bild davon machen , worum all das Gehaste der Menschen geht, so müsste dieses Bist eigentlich von Skepsis und Verdutzheit über das Menschenwesen befallen werden.

Das erste, was der Dschungelbestie auffallen würde, wäre der Umstand, daß der Mensch das einzige Arbeitstier ist. Mit Ausnahme von ein paar Zugpferden und Mühlenbüffeln brauchen selbst unsere lieben Haustiere nicht zu arbeiten. Die Polizeihunde müssen nur selten ans Werk; der Haushund, der treue Wächter, spielt die meiste Zeit und gönnt sich ein Schläfchen in der schönen warmen Morgensonne; die Katze vollends, diese Aristokratin, denkt nicht daran, ums Brot zu arbeiten, und ist sich vermöge ihrer körperlichen Gewandtheit, die sie den Nachbarzaun für nichts achten läßt, nicht einmal dessen bewußt, daß sie in Gefangenschaft lebt; sie geht hin, wo es ihr paßt. So bleibt also nur unsere schwer arbeitende Menschheit, eingekäfigt und zum Haustier gemacht, jedoch keineswegs gefüttert, sondern von unserer famosen Zivilisation, unserer umständlichen Lebensübereinkunft dazu genötigt, zu arbeiten und sich um die Futterfrage, selber zu bekümmern. Die Menschheit hat auch ihre heiteren

Seiten - ich weiß es wohl -, die Entzückungen der Erkenntnis, die Freuden des Gesprächs und die Vergnüglichkeiten der Phantasie.

Dessen ungeachtet bleibt die entscheidende Tatsache bestehen, daß das menschliche Leben sich zu sehr kompliziert hat und daß die eine einzige Frage des Sein-Brot-Findens im wörtlichen und im übertragenen Sinn gewiß mehr als neunzig Prozent der menschlichen Lebensäußerungen für sich mit Beschlag belegt.

Die Zivilisation dreht sich weitgehend um das Problem der Nahrungssuche; gleichzeitig herrscht aber der Fortschritt und damit eine Entwicklung, die diese Nahrungssuche schwieriger und immer schwieriger gestaltet. Wäre es dem Menschen nicht so schwer gemacht, seinen Unterhalt zu finden, so bestünde nicht der mindeste Anlaß, warum die Menschheit so hart arbeiten muß. Die Gefahr ist, daß wir uns über- zivilisieren und an einen Punkt gelangen (und an dem sind wir bereits), wo die Arbeit der Nahrungssuche so anstrengend wird, daß wir über ihr den Appetit aufs Essen verlieren. Sehr sinnvoll ist eine solche  Entwicklung nicht, weder vom Standpunkt der Dschungelbestie aus noch von dem des  Philosophen.

Jedesmal, wenn mir die Umrisse einer großen Stadt und weiter  Dächerfluchten ins Auge fallen, bekomme ich Angst. Man kann sich nur wundern: einige Wassertürme, die Rückseiten von Stahlgerüsten, an denen Leuchtreklamen angebracht sind, ab und  zu ein in die Luft stechender Hochhausgiebel, dazwischen Asphaltdächer, unverputzte Wände in rechteckigen scharfgeschnittenen, nach oben strebenden Umrissen ohne Form und Zusammenhang , schmutzige schwärzlich graue Kamine ein paar Wäscheleinen und wirr durcheinander  laufendes Geflecht von Antennen.

Schaue ich aber hinunter, in eine Straße so sehe ich wieder nur graue und verwaschene Häusermauern  in öder Flucht, mit winzigen, düsteren, gleichmäßig eingesetzten Fenstern in einförmiger Reihe, die Hälfte davon offen andere von Rolläden halb verdeckt, da und dort Milchflaschen auf dem Fenstersims oder Topfsscherben mit kränklich aussehenden niedern Blumen.

Ein kleines Mädchen kommt jeden Morgen mit einem Hund aufs Dach gestiegen und setzt sich auf die  sich auf die Dachtreppe, um ein wenig Sonne abzubekommen. Ich hebe meinen Blick empor und sehe Dächer, Dächer überall, meilenweit hingestreckt in häßlichen, geometrischen Umrissen.

Und unter jedem leben Menschen. Wie leben sie wohl, Familienweise eingeschachtelt hinter  ein paar düsteren Fenstern?  Es ist zum Schwindligwerden: hinter jedem zweiten oder dritten Fenster geht Abend für Abend ein Paar zu Bett, wie Tauben im Taubenschlag unterkriechen; morgens wachen auf , trinken ihren Kaffee, der Mann taucht auf der Straße unter und  geht irgendwohin, um das Brot für den Haushalt zu verdienen, und die Frau beginnt ihren täglichen hoffnungslosen Kampf gegen den Staub und macht die kleine Wohnung sauber. Um vier  oder um fünf treten die beiden vors Haus, um einen Schwatz zu halten, um zu sehen und gesehen zu werden und ein bißchen frische Luft zu schnappen. Schon wird es wieder dunkel; sie sind todmüde und gehen schlafen- das ist ihr Leben!

Es gibt auch anderer- - wohlhabendere Leute, die in besseren Mietswohnungen leben. Mehr Kunstgewerbe, mehr Lampenschirme in den Zimmern, eine größere Ordnungswut und noch mehr Sauberkeit! Die Bewohner haben etwas mehr Platz, aber nur ganz wenig. Eine Mietswohnung von sieben Zimmern, von einer Eigenwohnung ganz zu schweigen, gilt als Luxus. Mehr Glück aber ist auch hier nicht zu finden. Weniger Geldsorgen, weniger Schulden, die einem die Ruhe rauben - das wohl. Aber auch mehr seelische Komplikationen, mehr Eheirrungen, mehr Katermännchen,. die abends nicht nach Hause kommen - oder aber die Ehegatten ziehen abends selbander auf Abenteuer aus; und suchen Zerstreuung. Ablenkung nennt man es wohl, und bei Gott - sie brauchen Ablenkung von den eintönigen, einförmigen Steinwänden, den glänzenden Parkettböden! Worin aber besteht die Ablenkung? - sie gehen hin und sehen sich nackte Frauenzimmer an. Infolgedessen noch mehr Neurasthenie, noch mehr Aspirin, noch mehr kostspielige Krankheiten, noch mehr Darmkatarrh, Blinddarmentzündung und Magensäure, noch mehr Gehirnerweichung und Leberverhärtung, Zwölffingerdarmgeschwüre und Verletzungen an den Eingeweiden, über anstrengte Mägen und Nieren, entzündete Blasen und Schäden an der Milz, Herzerweiterungen und Nervenzusammenbrüchen Flachbrüstigkeit und hoher Blutdruck, Zucker, Brightsche Krankheit, Beriberi, Rheumatismus, Schlaflosigkeit, Arterienverkalkung, Hämorrhoiden, Fisteln, chronischer DurchfaJl, chronische Verstopfung, Appetitlosigkeit und allgemeiner Lebensüberdruß.  Um das Bild vollends abzurunden: mehr Hunde und weniger Kinder. Die Frage des Glücks hängt durchaus an der Beschaffenheit und dem Temperament der Männer und Frauen, die in den besprochenen eleganten Mietswohnungen leben. Manche machen sich gewiß ein vergnügtes Leben, anderen will es nicht gelingen.

 Im ganzen aber sind sie vielleicht weniger glücklich als die Schwerarbeiter; denn sie plagt der ennui, die Öde des Lebens. Allerdings, sie besitzen ein Haus und ein Auto und vielleicht sogar ein Haus auf dem Land. Ein Häuschen auf dem Land, als reinstes Glück bekannt!

So daß sich denn also folgender artige Kreislauf ergibt: Auf dem Lande arbeiten die Leute angestrengt, damit sie in die Stadt ziehen können, damit sie dort genügend Geld verdienen und wieder aufs Land ziehen können!

Macht man unbefangenen Blicks einen Bummel durch die Stadt, so bekommt man auch die Rückseite der Hauptstraße zu sehen und findet dort statt der Verschönerungsläden der Blumengeschäfte und Schieffsbüros eine Gasse mit Drogerieläden, Eisenhandlungen, Friseurstuben, Wäschereien Speisehäusern und Zeitungsständen. Wovon leben diese Menschen alle, und was führt sie gerade hier zusammen?

Sehr einfach: die Leute in der Wäscherei waschen für die Kellner; die Kellner bedienen die Leute von der Wäscherei und die Friseure beim Mittagessen; und die Friseure schneiden den Kellnern und den Leuten von der Waschanstalt die Haare. Das Ganze nennt sich Zivilisation. Ist es nicht zum Staunen? Ich wette in der Waschanstalt und beim Friseur und in den Restaurants gibt es Leute, die in ihrem ganzen Leben noch keine zehn Straßenzüge weit von ihrer Arbeitsstätte weggekommen sind. Gottlob gibt es Kintopp, da können sie auf der Leinwand die Vögel singen und die Bäume wachsen und im Wind schwanken sehen und kommen nach Ägypten und zu den Türken, zum Himelaya und in die Anden, und und sehen Stürme, Schiffsuntergänge, Krönungsfeierlichkeiten, Ameisen, Raupen, Bisamratten, Kämpfe zwischen Eidechse und Skorpion. Berge Wellen, Sanddünen, Wolken und sogar den Mond – alles auf der Leinwand!

Oh  kluge, schrecklich kluge Menschheit! Von dir singt mein Lied! Von dir, o unerforschliche Zivilisation, wie du die Menschen schuften und arbeiten machst, daß sie vor Sorgen um ihr täglich Brot graue Haare bekommen und des Spielens ganz vergessen.

 

Lin Yutang: Weisheit des lächelnden Lebens

 

 

 

 

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